Zwei aktuelle Geschehnisse der letzten Wochen in der katholischen Kirche in Deutschland haben viele Menschen bewegt. Zum einen ist dies die Veröffentlichung des Gutachtens zur sexualisierten Gewalt gegen Schutzbefohlene im Raum des Erzbistums München/Freising, zum anderen die Initiative „OutInChurch“, bei der sich haupt- und ehrenamtlich Mitwirkende in der Kirche sowie Menschen, die sich in der Ausbildung zu einem kirchlichen Beruf befinden, als queer veranlagt gezeigt haben und sich dafür stark machen, dass sie in ihrer Ausrichtung und in Lebensweise in unserer Kirche angenommen und akzeptiert werden.
Um in unseren Gemeinden einen Raum zum Gespräch darüber zu eröffnen, sind am Wochenende zwei Texte erschienen, die dies thematisieren. Einmal handelt es sich um eine gemeinsame Erklärung des Seelsorgeteams, der Angestellten sowie der Pfarrgemeinderats- und Kirchenvorstandsmitglieder in unseren Gemeinden, das andere ist ein Erfahrungsbericht eines queeren Menschen aus unserem Sendungsraum über sein Leben in und mit der Kirche.
Gerne können Sie darauf reagieren, sich äußern und selbst Stellung nehmen.
Folgende Inhalte finden Sie hier auf unserer Themenseite:
Am Aschermittwoch, dem 2. März 2022 haben wir einen Gesprächsabend im KirchenRaum St. Hippolytus angeboten, bei dem Sie ihre Gedanken zu den Fragen sexualisierter Gewalt gegen Schutzbefohlene und zu Erfahrungen von queer veranlagten Menschen im Raum der Kirche formulieren konnten. Zu diesen beiden Themen sind auch noch weitere hinzugekommen, etwa im Zusammenhang mit Forderungen des Synodalen Weges oder der Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte durch unseren Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki. Bei dem Gesprächsabend wurde vereinbart, eine Fortsetzung der Auseinandersetzung mit diesen Themen auch in unseren Gemeinden zu ermöglichen. Dazu soll diese neue Rubrik auf unserer Website dienen.
Gerne können Sie sich hier äußern. Dabei darf die gesamte Vielfalt der Meinungen zum Ausdruck kommen. Wichtig ist uns allerdings, dass dabei immer wertschätzend und nie herabwürdigend geschrieben wird – egal, welche Positionen eingenommen wird. Nur so ist es möglich, einen wirklich offenen Gesprächsraum zu haben, in dem wir voneinander wissen und auch Konsequenzen ziehen können, wie die Anliegen weiter aufgegriffen und bearbeitet werden können. Das Seelsorgeteam und die Gremien werden daher sehr genau verfolgen, wie sich die Diskussion entwickelt. Natürlich sind deutliche und vielleicht durchaus harsche Wortwahlen möglich und auch erwünscht. Sollte es jedoch zu herabwürdigenden Äußerungen kommen, wird sicherlich eingeschritten werden und die Veröffentlichung hier nicht vorgenommen werden können.
Insofern kann und soll es hier auch eine Möglichkeit geben, ganz konkret die Zeit der Versöhnung, die ja mit der Fastenzeit verbunden sein soll, für uns hier zu nutzen, um eine Kultur der Vielfalt, der Offenheit und des Miteinanders zu gestalten.
Wir möchten unser Mitgefühl ausdrücken mit Menschen, die Opfer von sexualisierter Gewalt in der Kirche geworden sind.
Seit vielen Jahren erschüttern uns immer mehr die durch zahlreiche Gutachten offenbar gewordenen Taten von kirchlichen Mitarbeitenden und insbesondere Priestern, die ihre Macht missbraucht und Schutzbedürftige – oft Kinder und Jugendliche – zur eigenen sexuellen Befriedigung benutzt haben.
Fassungslos erfahren wir immer wieder von der zerstörerischen Gewalt solcher Handlungen – und das in einem Umfeld, welches sie eigentlich wertschätzen, unterstützen und schützen soll. Wir schämen uns dafür, dass es mitten in unserer Kirche passiert, zu der wir gehören und uns bekennen. All dies erfüllt uns mit Wut und Verzweiflung.
Dadurch ist ein nicht wiedergutzumachender und sehr weitreichender Vertrauensverlust entstanden. Vielen ist es nicht mehr möglich, der Kirche zu glauben, die das Gegenteil davon verkündet: Die Botschaft von einem Gott, der alle Menschen ruft zur freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und zum verantwortungsvollen Umgang miteinander in voller gegenseitiger Achtung und größtem Respekt.
Im Team der verantwortlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger des Sendungsraumes Troisdorf sehen wir unser Versäumnis, der Auseinandersetzung damit bis jetzt zu wenig Raum gegeben zu haben.
Mit unseren Mitarbeitenden sowie gewählten Gremienmitgliedern wollen wir unsere Solidarität mit den Betroffenen ausdrücken. Gleichzeitig zeigen wir unsere Empörung über den bisherigen Umgang der Verantwortlichen mit vielfacher Geheimhaltung. Schließlich vermissen wir ihr Eingeständnis der Schuld sowie das Ziehen persönlicher Konsequenzen.
Gerne können Sie sich ebenfalls äußern – etwa mit Ihrer Unterschrift oder auch der Formulierung eigener Gedanken.
Damit niemand mit diesen Themen alleingelassen wird, laden wir ein zu einem Gesprächsabend am Aschermittwoch, dem 2. März 2022 um 20.00 Uhr in die Kirche St. Hippolytus (Hippolytusstraße 45, 53840 Troisdorf).
Troisdorf, 05.02.2022
Seelsorgeteam, Angestellte, Pfarrgemeinderats- und Kirchenvorstandsmitglieder im Sendungsraum Troisdorf
Hallo Jesus,
wieder ist eine dieser Nächte vorbei, in denen ich plötzlich wach wurde und wieder die Angst da war. Ich starre auf Dein Bildnis, auf dem Du keine Arme hast. Ein Geschenk von meinem alten Pastor. Vielleicht erinnerst Du Dich ja an mich, ich bin der, der alle Konventionen aufgegeben hat, Dir nachfolgen wollte und sich aufgemacht hat. Für andere da sein, getragen von Dir. Ich war also damals schon „anders“ quer. Es kam anders. Ich wurde in einer Kirche auf dem Altar vergewaltigt und meiner Seele beraubt. Man hat mir die Würde genommen und mir mein Rückgrat verbogen. Ich konnte nur noch kriechen, denn die anderen wollten mich nicht, und oft habe ich gedacht, Du willst mich auch nicht. Viele in Deiner Kirche sind voll mit dieser Angst, weil sie auch anders sind. Von Dir aber vielleicht auch ganz bewusst so erschaffen. Sie haben Angst, benachteiligt zu werden und nicht mehr in Deinem Haus willkommen zu sein. Ich bin wieder aufgestanden auch ohne den Segen Deiner Kirche. Du hast mir Menschen an die Seite gestellt, die mich aufgerichtet haben, die mit mir den neuen, anderen Weg Deiner Kirche gehen möchten. Es gibt so viele Menschen, die Dir nachfolgen möchten auch und gerade jetzt in dieser Zeit, aber anders leben, lieben und fühlen. Jeder von uns ist doch ein kleiner Stein in Deinem Bauwerk. Ich weiß, dass Du mit uns gehst. Ich glaube, dass Du uns alle begleitest, uns umarmst und Halt gibst. Es ist vielleicht ein dummer Gedanke: Braucht diese Welt, diese Deine Kirche nicht auch Menschen, die „anders“ sind? Oder ist nicht jeder auf seine Weise „anders“? Ein Baustein in Deinem großen Bauwerk Kirche, in dem Du das Fundament bist und nicht der Mensch. Ich danke Dir im Nachhinein für alle Menschen, die sich für mich als Queer-Denkenden und Queer-Anders-Lebenden eingesetzt haben und mich weiterbringen. In Deiner Welt und Deiner Kirche, wo wir alle Dein sein werden, weil Du uns erschaffen hast.
Dein Jakob
Jakob Becker ist Mitglied im Vorstand des Pfarrgemeinderates der Pfarreiengemeinschaft Troisdorf